Reporting & Kommunikation

Von der integrierten Berichterstattung zum integrierten Denken

Über die Renaissance einer unterschätzten Berichtspraxis
7. August 2019 Von
Reporting & Kommunikation

Neue gesetzliche Regelungen prägen die öffentliche Debatte zur nicht-finanziellen Berichterstattung in Europa. In diesem Kontext stellen sich viele Stakeholder in Deutschland die Frage, ob bestehende Standards und Rahmenbedingungen für die Berichterstattung noch angemessen sind, um Nachhaltigkeit in Unternehmen voranzutreiben. Mit der „grünen Welle“, die mit den EU-Parlamentswahlen im Mai heranrollte, und einem gesellschaftspolitischen und unternehmerischen Umfeld, das für Nachhaltigkeitsfragen immer empfänglicher ist, gedeiht das Thema auf einem neuen Nährboden. Was bedeutet das für die integrierte Berichterstattung? Steht ihr in Deutschland ein zweiter Frühling bevor?

Mit Abschluss des zweiten Berichtszyklus seit Einführung der neuen gesetzlichen Regelungen scheinen die Themen Umwelt, Soziales und Governance (ESG) bei deutschen Unternehmen im Zentrum des Interesses angekommen zu sein. Mit Blick auf die Berichte des Jahres 2018 zeigt sich: Unternehmen haben sich sehr bewusst an die Vorgaben der Richtlinie 2013/14UD und des CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetzes gehalten. Das wird oft bereits im Hinblick auf die Struktur deutlich. Sie spiegelt in vielen Berichten auf den ersten Blick die Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen wider.

Doch auch wenn Nachhaltigkeitsthemen in diesen Berichten scheinbar im Vordergrund stehen: Unklar bleibt, welchen Zweck Unternehmen über Compliance-Fragen hinaus mit den von ihnen beschriebenen Aktivitäten, Verpflichtungen und Zielen verfolgen. Die integrierte Berichterstattung – also die weltweite Initiative zur Integration von Nachhaltigkeit in den Geschäftsbericht – ist in Deutschland nach wie vor relativ unbeliebt, auch wenn Eccles,.R.G., et al. hier kürzlich ein anderes Bild zeichneten. Denn obwohl die integrierte Berichterstattung weltweit an Dynamik gewinnt, findet sie in Deutschland von einigen wenigen Vorreiterunternehmen abgesehen wenig Anhänger. Im Jahr 2015 schien es, als befänden sich die DAX-30-Unternehmen an einem Wendepunkt: Unternehmen wie SAP, Bayer und der Flughafen München setzen sich für diese Form der Berichterstattung ein und trieben ihre Entwicklung maßgeblich voran. Doch im Jahr 2019, sieben Jahre nach der Entstehung des International IR Framework des International Integrated Reporting Council (IIRC), hat sich diese Praxis noch immer nicht durchsetzen können.

Seit dem Aufkommen der integrierten Berichterstattung haben Umweltfragen kontinuierlich an Bedeutung gewonnen. Ob junge Bewegungen wie Fridays for Future, von Ressourcenknappheit betroffene lokale Gemeinden, oder für Nachhaltigkeit sensibilisierte Investoren: Sie alle erhöhen den Druck auf Unternehmen, bei der Bekämpfung des Klimawandels und dem Schutz von Ökosystemen mehr Verantwortung zu übernehmen. Während Unternehmen weiterhin vor allem separate Nachhaltigkeitsberichte erstellen sind die Vorteile dieser Berichtspraxis nicht immer eindeutig. So stellt sich die Frage, ob separate Berichte ausreichend Einfluss auf die traditionelle Rechnungslegungspraxis nehmen und dazu beitragen, dass Unternehmen ihre Geschäftsmodelle erneuern oder dem schwindenden Vertrauen zahlreicher Stakeholdern in die Unternehmensleistungen. Vor diesem Hintergrund hat die integrierte Berichterstattung heute möglicherweise ein größeres Potenzial als vor einigen Jahren.

Eine zweite Chance für die integrierte Berichterstattung?

Mit seinem Rahmenwerk für integrierte Berichterstattung verfolgt das IIRC ambitionierte Ziele. Dazu gehört, die aktuelle Berichtspraxis grundlegend zu verändern und das „integrierte Denken“ in alltägliche Geschäftsprozesse einzubetten. Eine wichtige Rolle spielt auch die bessere Allokation des Finanzkapitals, um dieses als „Treiber für finanzielle Stabilität und Nachhaltigkeit“ einzusetzen.

Dahinter steht die wachsende Erkenntnis, dass die bisherige, größtenteils rückwärtsgerichtete Berichts- und Rechnungslegungspraxis gescheitert ist. Sie ist Ausdruck eines mangelhaften Werteverständnisses. Einer Denkweise, die die Ressourcen und Beziehungen, die Organisationen für ihre Wertschöpfung benötigen, nicht angemessen berücksichtigt und negative Auswirkungen auf die Zukunft hat. Es steht außer Frage, dass die traditionelle Berichts- und Rechnungslegungspraxis damit auch zur globalen Finanzkrise und den wachsenden sozialen und ökologischen Herausforderungen beigetragen hat. Dem IIRC zufolge werfen diese Auswirkungen „die Frage auf, inwieweit systematische Risiken für Unternehmen in der traditionellen Form der Berichterstattung ausreichend beleuchtet werden“. Die Auswirkungen verdeutlichen außerdem die „Notwendigkeit, langfristige Überlegungen in Kapitalmarktentscheidungen einzubeziehen“.

Deutsche Unternehmen beobachten integrierte Berichterstattung nur vom Rand aus

Die deutsche Geschäftsberichterstattung zeichnet sich durch eine besonders ausgeprägte Compliance-Kultur aus.  Viele der aktuellen Geschäftsberichte entsprechen buchstäblich den gesetzlichen Vorgaben. Im Gegensatz steht die grundlegende Prämisse der integrierten Berichterstattung, dass die Einhaltung von Gesetzen allein nicht ausreicht, um einen systemischen Wandel für nachhaltigere Geschäftsprozesse zu bewirken.

Mithilfe eines integrierten Berichts soll deutlich werden, ob die Unternehmensführung  ökologische, soziale, wirtschaftliche und finanzielle Aspekte ganzheitlich ermittelt, Auswirkungen auf die Wertschöpfung der Organisation ableitet und Schlüsse für die Unternehmensstrategie zieht. Ein integrierter Bericht dient nicht nur dazu, die Compliance sicherzustellen. Er ist auch mehr als die Bündelung von Geschäftsbericht und Nachhaltigkeitsbericht in einem Dokument. Die Stärke des integrierten Berichts liegt vielmehr in seiner strategischen Natur. Damit bietet er auch für deutsche Unternehmen einen Lösungsansatz, um den Herausforderungen der aktuellen Berichtspraxis zu begegnen.

Dabei liegt das Problem der deutschen Berichtslandschaft nicht in mangelndem Commitment für Nachhaltigkeit oder fehlenden Zielen und Leitlinien. Problematisch ist, dass Unternehmen nicht-finanzielle Informationen viel zu häufig strikt von ihrem Kerngeschäft trennen. Dies verwässert die Bemühungen einer zunehmend restriktiven Gesetzgebung, Unternehmen auf Grundlage von ESG-Kriterien zu nachhaltigerem Wirtschaften zu bewegen.

Von der Nachhaltigkeits-Compliance zum integrierten Denken

Die integrierte Berichterstattung kann ein sinnvoller Hebel sein, um die Nachhaltigkeitsberichterstattung deutscher Unternehmen zu verbessern und ist zentraler Ansatz bei Stakeholder Reporting. Ein Grund dafür: Mithilfe eines integrierten Berichts können Unternehmen ihr Bestreben, Nachhaltigkeit in sämtliche Geschäftsprozesse zu integrieren und damit über reine Compliance-getrieben Ansätze hinauszugehen, besser zum Ausdruck bringen. Zwar trägt auch der Compliance-Gedanke im Nachhaltigkeitsbereich dazu bei, dass Unternehmen ihre wichtigsten ESG-Themen angehen und regulatorische Vorgaben einhalten. Offen bleibt jedoch die Frage nach dem „zu welchem Zweck“. Gerade bei der Beantwortung dieser Frage bietet das integrierte Reporting entscheidende Vorteile. Durch seinen Fokus auf die Unternehmenswerte zeigt der integrierte Bericht auf, welche Prozesse und Gegebenheiten für eine integrierte Form der Entscheidungsfindung, Unternehmensführung und Berichterstattung entscheidend sind, die Wechselwirkungen und Interdependenzen als wichtige Erfolgsfaktoren mitberücksichtigen. Ein effektiver integrierter Berichtsprozess fördert zwangsläufig integriertes Denken: Er stellt Nachhaltigkeitsthemen in das Rampenlicht, die sich auf die Unternehmenswerte auswirken.

Neue gesetzliche Regelungen, veränderte Stakeholder-Erwartungen und Wähler, die offensivere Herangehensweisen an drängende Nachhaltigkeitsfragen verlangen: In diesem Umfeld stellt sich die berechtigte Frage, ob die integrierte Berichterstattung für Unternehmen in Deutschland eine wertvolle Möglichkeit bietet, ihrer Verantwortung besser gerecht zu werden, den Status-Quo ihrer Geschäftsmodelle zu hinterfragen und so verlorenes Vertrauen wieder aufzubauen. Stakeholder Reporting unterstützt Unternehmen dabei, das Potenzial der integrierten Berichterstattung voll auszuschöpfen. Dabei ist wichtig, dass der Berichtsprozess nicht als rein Compliance-getriebene Aufgabe verstanden wird, die losgelöst vom Nachhaltigkeitsteam oder der Investor Relations abläuft. Stattdessen sollte die Führungsebene der Organisation am Berichtsprozess beteiligt werden und dazu beitragen, die zentralen Nachhaltigkeitsthemen zu identifizieren, zu kommunizieren sowie entsprechende Lösungen dafür zu entwickeln.


Sanelisiwe Siyotula is a consultant in integrated reporting at Stakeholder Reporting. She provides advisory services in her capacity as a researcher undergoing her PHD focusing on integrated reporting at the Hamburg School of Business and Nelson Mandela University in Germany and South Africa respectively.

Jonathon Hanks is a Managing Partner at Incite, an international advisory network based in South Africa that works with leading corporates throughout emerging markets. He is a member of the Working Group of the Integrated Reporting Committee in South Africa and contributes to the work of the International Integrated Reporting Council (IIRC) and the Global Reporting Initiative (GRI). He recently convened the three-year GRI/IIRC Corporate Leadership Group on Integrated Reporting.


Quellen