Sustainable Finance

Studie zu ESG & Investor Relations

Analyse der Kapitalmarktkommunikation der DAX 40
22. März 2023 Von Michael Zahn
Sustainable Finance

ESG ist inzwischen im Investment-Bereich und in der Kapitalmarktkommunikation fest verankert. Jedenfalls als Begriff. Aber die Verwendung des Akronyms reicht bei weitem nicht aus. Ist ESG mehr als nur ein Schlagwort im Geschäftsbericht? Was ist mit tiefergehenden Details, die eine umfassende Analyse ermöglichen? Wie stark sind ESG-Themen im Investor-Relations-Sektor wirklich vertreten?

Gemeinsam mit den Online-Kommunikations-Expert*innen von NetFed haben wir die IR-Webseiten der DAX-40-Unternehmen unter die Lupe genommen und präsentieren hier die Ergebnisse unserer Studie.

Ergebnisse der Studie: Quick Wins in 9 Thesen

 

Wer Investment will, braucht gute ESG-Kommunikation

Der Druck auf Unternehmen, umwelt- und sozialverträglich zu agieren, wird als Teil des ESG-Ansatzes (Environment, Social, Governance) immer größer. ESG-Evaluierung hat in den letzten Jahren an Bedeutung für Investor*innen gewonnen. Sie bietet durch ihre klaren und einheitlichen Kriterien den großen Vorteil der schnellen Vergleichbarkeit. Die Nachhaltigkeit eines Unternehmens kann effizient und direkt über Zahlen, Daten und Fakten abgebildet werden – und entscheidet mit über die Attraktivität im ESG-Investing.

Institutionelle und private Investor*innen orientieren sich zunehmend an den ESG-Ratings, bevor sie entscheiden, ob sie in ein bestimmtes Unternehmen investieren oder nicht. Die Qualität der Kapitalmarktkommunikation eines Unternehmens ist insofern von entscheidender Bedeutung für seine Anlegerfreundlichkeit. Unternehmen müssen ihr Engagement im Hinblick auf ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und verantwortungsvolle Führung nachweisen, indem sie klare Aussagen zu Corporate Social Responsibility (CSR) und ESG treffen. Daher findet man heute auf den meisten Websites der DAX-40-Unternehmen Informationen zu CSR-Aktivitäten und ESG-Leistungen – vor allem als Antwort auf gesetzliche Vorgaben. Sind sie aber auch Bestandteil einer umfassenderen Kommunikationsstrategie?

Unternehmen geben mehr und mehr Einblicke in die Ziele und Strategien, die sie im Hinblick auf ESG verfolgen. Durch die Aufbereitung von Kennzahlen können sie zusätzlich ihre Glaubwürdigkeit steigern. Diese Transparenz ist besonders wichtig, um Investor*innen Klarheit zu geben über zukünftige Prioritäten des Unternehmens – sowohl hinsichtlich ESG als auch anderer relevanter Kriterien. Wie gut aber sind diese Inhalte auf den IR-Webseiten aufbereitet?

Studienprofil

Gemeinsam mit NetFed haben wir eine Studie unter den 40-DAX-Unternehmen durchgeführt. Wir wollten wissen, inwiefern der Faktor Nachhaltigkeit überhaupt Bestandteil der IR-Strategie ist. Diese Fragen haben uns bei der Erstellung der Studie besonders interessiert:

  • Wie ist der Status quo der aktuellen ESG-Kommunikation?
  • Welche Einblicke bieten die Unternehmen zum Thema ESG und wo werden diese platziert?
  • Wo finden ESG-Themen statt? Im Reporting, auf der Website, in der Investment-Story?
  • Wie gut ist die Darstellung der Wertschöpfungskette?
  • Was sind Best-Practice-Beispiele?
  • Was können Unternehmen in Zukunft verbessern?

Ziel der Studie

Zielgruppe der Studie in den DAX-Unternehmen sind neben den Investor-Relations-Teams und den Kommunikationsabteilungen vor allem diejenigen, die z. B. über die Platzierung von ESG-Themen mitentscheiden, wie beispielsweise Chief Financial Officers, Chief Digital Officers oder CSR Coordinators. Auch für HR-Abteilungen ist die ESG-Thematik mittlerweile unabdingbar. Best-Practice-Beispiele unterstützen dabei, die ESG-Kommunikation in der Praxis zu optimieren.

Nicht im DAX vertretene sowie mittelständische Unternehmen können hier Inspiration finden, wie sie ESG thematisch und organisatorisch besser in ihre Kommunikation integrieren können. Da der Mittelstand in wesentlich höherem Maße auf Kreditfinanzierung angewiesen ist, wird er in den nächsten Jahren besonders von ESG betroffen sein, da die Hausbanken Nachweise darüber einfordern.

Methodik der Studie

Im Rahmen unserer ESG-Studie 2023 haben wir uns intensiv mit den Nachhaltigkeitskennzahlen der DAX-40-Unternehmen auseinandergesetzt. Wir haben deren Websites und Geschäfts- bzw. Nachhaltigkeitsberichte unter die Lupe genommen und einen Fragenkatalog mit 65 ESG-relevanten Kriterien erstellt. Diese Kriterien wurden nach „sehr wichtig“ (3 Punkte), „wichtig“ (2 Punkte) und „Standard“ (1 Punkt) gewichtet. Untersuchungszeitraum begann im November und endete im Januar 2023.

Um ein möglichst realistisches Abbild des Nutzerverhaltens zu erhalten, haben wir die 30-Sekunden-Regel angewendet: Wurden gesuchte Kriterien nach 30 Sekunden nicht gefunden, galten sie als nicht vorhanden. Die maximale Punktzahl der ESG-Studie betrug 1.000 Punkte.

Wir haben mit drei Untersuchungskategorien gearbeitet. Zunächst haben wir die Sichtbarkeit und Dokumentation von ESG-Inhalten auf den IR-Webseiten der Konzerne untersucht. Dabei haben wir unter anderem Navigationspunkte, die Integration von ESG-Inhalten in Webseitenbereiche und im Reporting sowie das Vorhandensein von Leitlinien oder Strategien zu ESG geprüft.

Im zweiten Teil der Untersuchung haben wir uns angeschaut, welche Fakten und Kennzahlen die Konzerne präsentieren, ob es Angaben zur konkreten Umsetzung von ESG im Unternehmen gibt, ob der aktuelle Stand dieses Prozesses abgebildet wird und wie häufig die Sustainable Development Goals (SDG) auf der IR-Webseite und in den Reports berücksichtigt werden.

In der dritten Untersuchungskategorie haben wir Strategie und Wesentlichkeit analysiert. Wir wollten wissen, ob Nachhaltigkeitsstrategien kenntlich gemacht werden, ob Aussagen über ESG-Ziele und deren aktuellen Status getroffen werden, ob auf nachhaltigkeitsbezogene Chancen und Risiken Bezug genommen wird und inwiefern ESG-Kriterien nutzerfreundlich zugänglich gemacht werden.

Sichtbarkeit & Dokumentation

Das Schlagwort ESG ist sowohl auf den IR-Webseiten als auch auf den CSR-Webseiten prominent vertreten. Bei der Hälfte der Unternehmen finden wir einen eigenständigen Navigationspunkt dazu. Im Reporting sehen wir, dass 70 Prozent der Unternehmen ESG in ihren Geschäftsbericht aufnehmen, fast ebenso viele führen ESG im Nachhaltigkeitsbericht auf. Ein Drittel der Unternehmen präsentiert einen integrierten Bericht, in dem ESG thematisiert wird. Wenn wir aber etwas mehr in die Tiefe gehen, zeigt sich ein ganz anderes Bild: Inhaltlich detaillierte Auseinandersetzungen mit dem Thema wie z. B. in Blogs oder Magazinen finden wir kaum (18 %). Auch visuelle Darstellungen z. B. der Wesentlichkeitsmatrix oder der Wertschöpfungskette sehen wir mit 20 Prozent ebenso selten wie interaktive Kennzahlentools.

Single Source of Truth: Kontroversen kommunizieren

Wenn es um Kontroversen, laufende Verfahren und den Umgang mit ihnen geht, halten sich die Konzerne überwiegend bedeckt. Nur eines von insgesamt 40 untersuchten Unternehmen kommuniziert auch strittige Aktivitäten im ESG-Kontext. Daraus ergibt sich ein Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Erfolge und Meilensteine werden breit publiziert, Kontroversen jedoch überwiegend verschwiegen. Darunter leidet die Glaubwürdigkeit.

Fakten und Kennzahlen

Environment, Sustainable Development Goals und GHG-Protokoll

Das Thema Umwelt – insbesondere die durch das Greenhouse Gas Protocol (GHG) kategorisierten Emissionswerte – rangiert bei den Formulierungen der Kriterien ganz oben. Die meisten Hinweise dazu finden wir hier in der Kategorie Fakten & Kennzahlen.

Sich über Kennzahlen zur Nachhaltigkeit des eigenen Unternehmens zu positionieren, ist eine einfache Möglichkeit, Transparenz für Stakeholder, Shareholder und Investment-Interessierte zu schaffen – und so eine Vertrauensgrundlage zu legen. Diese Möglichkeit wird bislang bei weitem nicht ausgeschöpft. Kennzahlen, beispielsweise zur Nutzung erneuerbarer Energien oder zur Müllvermeidung, finden wir bislang lediglich bei einem Viertel der Unternehmen.

Über die Hälfte der Unternehmen nimmt auf ihren Webseiten Bezug auf die von den Vereinten Nationen im Jahr 2015 verabschiedeten SDGs, die eine globale nachhaltige Entwicklung auf ökonomischer, sozialer und ökologischer Ebene garantieren sollen. Der verbreitetste globale Standard zur konkreten Bilanzierung von Emissionswerten ist jedoch das GHG. Es definiert mit Scope 1, 2 und 3 verschiedene Kategorien von erzeugten Emissionen und schreibt vor, diese zu bilanzieren. Ziel dabei ist, alle direkten oder indirekten Emissionen eines Unternehmens möglichst genau zu erfassen. Anhand der so gesammelten Daten, können in einem zweiten Schritt Reduktionsziele formuliert werden.

Bislang berichten nur 38 Prozent der Unternehmen von Scope 1 und 2 Emissionen, Scope 3 Emissionen werden sogar nur von 23 Prozent benannt.

Gender Equality, Menschenwürdige Arbeit und Bildung

Schauen wir auf die sozialen Faktoren: Dazu zählt vor allem das Thema Gender Equality. Kennzahlen zum Frauenanteil im Unternehmen (35 %) oder zu Frauen in Führungs-positionen (40 %) gibt es bei weniger als der Hälfte der untersuchten Unternehmen. Angaben zur Fortbildung der Mitarbeitenden finden wir mit 18 Prozent recht selten. Informationen zu existenzsichernden Löhnen für die Belegschaft oder zur Zahlung von existenzsichernden Löhnen durch Logistikpartner gibt es nur bei zwei von insgesamt 40 Unternehmen. Wir haben auch überprüft, ob es Angaben zu Durchschnittswerten für das Gehalt weiblicher oder männlicher Angestellter oder von Management und Angestellten gibt – hier sind wir überhaupt nicht fündig geworden.

Strategie und Wesentlichkeit

Nachhaltigkeitsstrategien formulieren inzwischen die meisten der DAX-40-Konzerne. Knapp 80 Prozent nennen auch ihr Klimaziel. Geht es jedoch um die tatsächliche Erreichung dieser Ziele, halten sich die Unternehmen etwas bedeckter: Hier sind es rund 50 Prozent, die Angaben zum Zielerreichungsgrad machen. Weitere Umweltziele werden ebenfalls nur von der Hälfte der untersuchten Unternehmen benannt.

Richtlinien und Ziele zur Nachhaltigkeit und zu sozialen Themen schaffen Orientierung – nicht nur für Investment-Interessierte, auch für die Belegschaft und vor allem für Bewerbende. 73 Prozent der Konzerne stellen Nachhaltigkeitsrichtlinien zur Verfügung und 60 Prozent kommunizieren ein umfassendes Nachhaltigkeitsprogramm. Schauen wir in Richtung Diversität, wird das Feld gleich dünner: Nur ein Drittel der Unternehmen benennen Diversitätsziele und die Hälfte benennt weitere soziale Ziele.

ESG-Kriterien, Nutzerfreundlichkeit und Verknüpfung mit Investor Relations

Eine Möglichkeit, ESG-Kriterien online-verträglich darzustellen, liegt im Mapping relevanter Berichtsstandards (GRI[1], SASB[2], TCFD[3], Bezug zu CSRD [4]). Hierauf greifen 40 Prozent der Konzerne zurück. Einen Mehrjahresvergleich von ESG-KPIs finden wir bei einem Viertel der Unternehmen. ESG-KPIs in maschinenlesbaren digitalen Formaten stehen bei 20 Prozent der Unternehmen zur Verfügung.

Mit einer Investment-Story kann man erzählerisch beschreiben, warum ein Unternehmen oder eine Branche eine gute Investitionsmöglichkeit darstellt. Die Story soll die Stärken, Chancen und Wachstumspotenziale des Unternehmens oder der Branche vermitteln und das Vertrauen in die Investition stärken.

Ein für uns springender Punkt ist die Integration der ESG-Information in die Investment-Story. Das sehen wir bislang bei 50 Prozent der Unternehmen umgesetzt. Enorm wichtig ist außerdem der Hinweis auf ESG-Ratings – bislang nutzt etwas mehr als die Hälfte der Unternehmen diese Möglichkeit. Spezielle Publikationen zur Nachhaltigkeit kann ein gutes Drittel der Unternehmen aufweisen und knapp die Hälfte veröffentlichen Statements zu Selbstverpflichtungen oder zur Teilnahme an besonderen Initiativen.

Fazit

Das Gesamtergebnis unserer Studie ist deutlich: Die ESG-Kommunikation der Unternehmen ist unzureichend. Nur acht der 40 Unternehmen haben mindestens 50 Prozent unserer Kriterien abgedeckt, mehr als die Hälfte nicht einmal 30 Prozent. Mit der Deutschen Telekom haben wir einen Ausreißer an der Spitze – sie deckt weit über 80 Prozent unserer Kriterien ab und hat einen Vorsprung von fast 200 Punkten vor dem Zweitplatzierten Mercedes-Benz.

ESG – ein Thema nur fürs Reporting?

ESG-Themen haben den Weg auf die IR-Webseiten gefunden. Aber wo werden sie angesiedelt? Im Reporting erwähnen alle DAX-40-Unternehmen den Begriff ESG mindestens einmal. Das zeigt, wie wichtig dieses Thema für die Unternehmen ist, wenn sie öffentlich über ihre Aktivitäten sprechen. Auf den Corporate Websites spielen ESG-Daten jedoch noch keine große Rolle. Die häufigsten Schwerpunkte sind Klimaziele, Nachhaltigkeitsziele und soziale Ziele. Das ist ein Indiz dafür, dass die Unternehmen noch zu sehr darin verhaftet sind, ESG-Inhalte als Pflichtaufgabe anzusehen. Die große Chance liegt unserer Meinung nach darin, die Thematik als Chance zu begreifen, sich gewinnbringend zu profilieren und zu positionieren.

Zahlen und Fakten – besser online-tauglich aufbereiten

Es fällt auf, dass die untersuchten Unternehmen die Zahlen und Fakten zu ESG nicht online-tauglich darstellen. Bei der Aufbereitung der Informationen wären beispielsweise Mehrjahresvergleiche, eine maschinenlesbare Aufbereitung oder die Bereitstellung einer Suchfunktion für die ESG-KPIs hilfreich, damit Shareholder und Stakeholder einen Überblick über die ESG-Konformität der Unternehmen gewinnen. Das ist zusätzlich wichtig, weil oftmals Algorithmen die Berichte und Websites der Unternehmen screenen, um sie hinsichtlich des ESG-Ratings einordnen zu können.

Über uns

Zu Stakeholder Reporting

Wir sind eine führende rein auf unternehmerische Nachhaltigkeit fokussierte Beratung im deutschsprachigen Raum. Mehr als 70 ESG Expert*innen bieten wir Kund*innen aus DAX40, SDAX, MDAX und große mittelständische Unternehmen maßgeschneiderte Lösungen zu aktuellen Herausforderungen in den Bereichen ESG-Reporting, Klimaschutz & Datenmanagement, Strategie & Wesentlichkeit, Sustainable Finance sowie Dialog & Lieferkette. Mitgewirkt an der Studie haben die ESG-Rating-Experten Finn Steinmann und Michael Zahn.

Zu NetFed

Die NetFederation GmbH – kurz NetFed – ist eine Unternehmensberatung und Agentur für digitale Kommunikation mit Sitz in Köln. Ob Corporate Website, Online-Reporting, Intranet, Web-Design, Online-Redaktion oder Social Media: NetFed übernimmt die Analyse und Bewertung, die strategische Konzeption, die visuelle Gestaltung sowie die technische Umsetzung und Betreuung digitaler Auftritte.

Seit 20 Jahren untersucht NetFed die Websites ausgewählter deutscher Unternehmen. Dabei screent NetFed in jährlich fünf Benchmarks die Corporate Websites sowie die Rubriken Corporate Social Responsibility (CSR), Human Resources (HR), Media Relations (MR) und Investor Relations (IR). Den Überblick über aktuelle Standards und Trends in der digitalen Kommunikation nutzen wir, um unsere Kunden zu aktuellen Entwicklungen optimal beraten und sie bei der Umsetzung geeigneter Maßnahmen unterstützen zu können.

 

 

[1] Global Reporting Initiative: GRI – How to use the GRI Standards (globalreporting.org)

[2] Standards Overview – SASB

[3] Recommendations | Task Force on Climate-Related Financial Disclosures (fsb-tcfd.org)

[4] CSRD (csr-in-deutschland.de)