Woher kommt eigentlich das Graphit für die Herstellung von Solarzellen? Und wie kann sichergestellt werden, dass bei der Gewinnung von Gold für Schmuck und Smartphones keine Menschenrechte verletzt werden? Bei Wesentlichkeitsprozessen und Risikoanalysen mit unseren Kund*innen begegnen wir regelmäßig Fragen wie diesen.
Die Lieferkette ist ein wichtiges Arbeitsfeld unserer Beratungstätigkeit, das auch das Thema Rohstoffe umfasst. Beispielsweise ermöglichen wir mit Dialogformaten, Reviews und Kooperationsmodellen unseren Kund*innen, ihre Sorgfaltspflichten bis hin zu den Anfängen ihrer Wertschöpfungsketten besser zu verstehen und vor Ort Koalitionen einzugehen. Bei dieser Arbeit greifen wir auch auf die Expertise der Hamburger Projekt-Consult GmbH zurück. Projekt-Consult ist europaweit eines der ältesten und erfahrensten Beratungsunternehmen im Bereich verantwortliche Lieferketten für mineralische Rohstoffe. Sein Beratungsportfolio erstreckt sich neben der öffentlich finanzierten internationalen Entwicklungszusammenarbeit zunehmend auch auf privatwirtschaftliche Initiativen.
Wir haben Moritz Lörcher (rechts) und Thomas Hentschel (links), Geschäftsführer der Projekt-Consult GmbH, gefragt, welche Chancen eine verantwortliche Gestaltung mineralischer Rohstofflieferketten mit sich bringt.
Projekt-Consult gibt es seit über 40 Jahren. Vor wenigen Wochen hat der Bundestag das Lieferkettengesetz verabschiedet. Zudem bereitet die EU-Kommission einen Richtlinienentwurf zu Sorgfaltspflichten in der Lieferkette vor. Die Bedarfslage verändert sich daher. Worauf sollten Unternehmen, die mit mineralischen Rohstofflieferketten zu tun haben, besonders achten?
Lörcher: Aus unserer Sicht ist es zunächst einmal wichtig, nicht aus den Augen zu verlieren, worum es eigentlich geht – nämlich um die Verantwortung für zuverlässige Lieferketten, die allen daran beteiligten Akteuren ein angemessenes und gerechtes Auskommen bieten, und zwar nicht auf Kosten von Umwelt, Klima oder Menschenrechten. Dabei sollte Verantwortung zu übernehmen nicht als Zusatzaufwand, sondern als sinnvolle Investition betrachtet werden.
Hentschel: Eine Beschaffungspolitik, die auch Umwelt- und Sozialrisiken im Blick hat, hilft, aktuelle Herausforderungen wie Rohstoffknappheit und Lieferengpässe besser zu bewältigen, und trägt damit zur Wertschöpfung bei. Auch deshalb haben Unternehmen heute gute Gründe, Verantwortung zu einem integralen Bestandteil ihrer Beschaffungsprozesse zu machen. Hierzu sollten sie in Verbindung mit der klassischen ökonomischen Risikobetrachtung beispielsweise auch die Umwelt- und Sozialrisiken ihrer Lieferkette sorgfältig analysieren.
Wo würden Sie bei der Analyse von Umwelt- und Sozialrisiken die Schwerpunkte setzen?
Hentschel: Zentrale Bedeutung hierfür hat die Rohstoffbeschaffung. Sie kann für ein Unternehmen je nach Gewinnungs- und Verarbeitungsmethode, regionalen Bedingungen oder der Nachfragesituation vielfältige Risiken mit sich bringen. Dies zeigt sich gerade besonders an vielen Rohstoffen, die für die Energiewende gebraucht werden. Zum Beispiel Nickel – ein zentraler Rohstoff für die Herstellung von Stahl für Windräder, von Batterien für Elektromobilität und sogar als Kobalt-Ersatz in der Produktion von Batterien. Laut aktuellen Prognosen wird sich die Nachfrage nach Nickel durch die globale Energiewende bis 2050 verdoppeln. Indonesien hält den größten Anteil der weltweit bekannten Nickel-Reserven und Nickel-Minen haben sich in den letzten Jahren auf der Insel Sulawesi vervielfacht. Die Region ist also ein wichtiger Partner, um die Versorgung mit dem Rohstoff sicher zu stellen. Menschenrechtsorganisationen und Umweltschützer schlagen jedoch Alarm: Schon der bisherige Ausbau der indonesischen Nickelproduktion sei auf Kosten von Korallenriffen, Flüssen, Regenwäldern sowie der Gesundheit und der Lebensgrundlagen der lokalen Bevölkerung gegangen.
Was raten Sie Unternehmen, um derartige Rohstoffrisiken in ihrer Lieferkette abzubauen?
Lörcher: Unternehmen sollten sich besser über die Umstände der Rohstoffgewinnung in ihrer Lieferkette informieren, damit sie proaktiv mit Lieferanten an der Vermeidung der Risiken arbeiten können. Dies kann zum Beispiel in Kooperation mit Interessengruppen vor Ort geschehen, die sich für Umweltschutzmaßnahmen und bessere Arbeitsbedingungen einsetzen. Auf diese Weise können Unternehmen mittelfristig eine zuverlässigere Lieferkette aufbauen, die ökologischen, sozialen und ökonomischen Ansprüchen gerecht wird. Unsere weitergehende Empfehlung für Unternehmen ist es daher, basierend auf einer Analyse der spezifischen Risiken in ihrer Lieferkette gezielt mit Partnern und Beteiligten an der Vermeidung von Risiken zu arbeiten.
Das klingt aufwendig und erfordert bei einigen Unternehmen möglicherweise Kompetenzen und Ressourcen, die nicht in dem erforderlichen Maß zur Verfügung stehen.
Hentschel: Ganz klar ist hier oft ein längerer Atem nötig. Manche rohstoffbedingte Risiken kann man nicht von heute auf morgen ausschalten, insbesondere wenn man unterschiedliche Interessen beteiligter Akteure auf einen Nenner bringen muss – in aller Regel auch noch in unterschiedlichen Regionen weltweit. Aber Unternehmen können sich hierfür Verbündete suchen. Beispielsweise können sie sich über Industrieinitiativen zusammen mit lokaler Verwaltung, Regierungen und andere Beteiligten sinnvoll in Projekte vor Ort einbringen. In der internationalen Zusammenarbeit gibt es bereits einige derartige Projekte, die das Engagement und die Beteiligung des Privatsektors bei der Verbesserung der Situation in Entwicklungsländern auch mit öffentlichen Geldern fördern.
Können Sie uns ein Beispiel für ein solches Projekt nennen?
Lörcher: Speziell für den Rohstoff Gold implementieren wir die Better Gold Initiative (BGI). Dabei handelt es sich um eine Private-Public-Partnership (PPP) zwischen der Swiss Better Gold Association (SBGA) und dem schweizerischen Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO). Das Ziel der in Lateinamerika tätigen Initiative ist es, durch Etablierung fairer marktwirtschaftlicher Prinzipien die nachhaltige Entwicklung des Kleinbergbaus von Gold zu fördern. Mittlerweile ist die BGI über neun Jahre alt. In ihrem Rahmen wurden bisher mehr als 8000 Kilogramm Gold aus Kleinbetrieben verarbeitet – dies entspricht einem Handelsvolumen von etwa 400 Millionen Euro. Beide Seiten, Produzenten und Handel, profitieren von der Initiative: Die Kleinbetriebe werden bei der Einhaltung von sozialen und Umweltstandards unterstützt und die Abnehmer haben die Sicherheit, dass ihr Gold aus einer verantwortlichen Produktion stammt.
Welche Potenziale sehen Sie in der Zusammenarbeit mit Stakeholder Reporting?
Lörcher: Um verantwortliche Lieferketten effektiv und effizient zu gestalten, müssen Unternehmen kompetent priorisieren, Beschaffungsprozesse anpassen, vorausschauend handeln und dabei transparent sein. Dazu brauchen sie einerseits fundiertes Wissen über Rohstoffe und Lieferketten und andererseits die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit allen Akteuren in den Wertschöpfungsstufen. Während wir die lokalen Kontakte und das Rohstoff-Know-how haben, bringt Stakeholder Reporting seine Organisations- und Kommunikationserfahrung ein. Denn verantwortliches Handeln braucht beides: fachliche Expertise ebenso wie überzeugende Ansprache und Dialog.
Das Interview führten Carolin Friedrich und Björg Volquardsen von Stakeholder Reporting.