Friedel Hütz-Adams ist wissenschaftlicher Mitarbeiter von SÜDWIND – Institut für Ökonomie und Ökumene. Das in Bonn ansässige wissenschaftliche Institut führt praxisorientierte Recherchen zu weltwirtschaftlichen Themen durch und setzt sich weltweit für soziale und ökologische Gerechtigkeit ein. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Frauen und Weltwirtschaft, sozial verantwortliche Investments, Entwicklungszusammenarbeit und Sozialstandards im Welthandel. Friedel Hütz-Adams ist ein engagierter Teilnehmer zahlreicher Stakeholder-Foren und Beiräte von Unternehmen auf nationaler und internationaler Ebene.
Herr Hütz-Adams, viele große international aufgestellte Unternehmen treffen weiterhin Entscheidungen, die kurz- und mittelfristig den Umsatz und Gewinn erhöhen, aber langfristig sowohl der Gesellschaft als auch den Unternehmen ihre Existenzgrundlage berauben. Warum fällt es Unternehmen so schwer, gesellschaftliche Transformationsprozesse aktiv zu begleiten und einen entscheidenden Beitrag zu einer gerechten Wirtschaftsordnung zu leisten?
Meiner Ansicht nach gibt es da verschiedene Punkte. Das gesamte Wirtschaftssystem ist stark darauf ausgerichtet, kurzfristig zu agieren: Maßstab für den Erfolg von Produkten sind der aktuelle Preis und die Qualität, längerfristige Folgen der Fertigung und der Nutzung werden gar nicht oder nicht ausreichend berücksichtiget.
Die Beachtung langfristiger Aspekte spielt schon in der Ausbildung verschiedenster Berufsgruppen eine viel zu geringe Rolle. Hinzu kommt, dass häufig Beförderungsaussichten innerhalb des Unternehmens stark daran gekoppelt sind, was Beschäftigte kurz und mittelfristig erreichen, langfristige Ansätze dagegen keine große Bedeutung bei der Wertschätzung der Arbeitsleistung haben. Ein weiterer Aspekt ist, dass bei der Bewertung von Unternehmen, von den Aktienkursen bis hin zur Berichterstattung in der Presse, der Maßstab in der Regel die kurzfristige Steigerung von Umsatz und Profitraten ist.
Es fehlen gesetzliche Maßnahmen, um diesen falschen Anreizen entgegenzusteuern. Während es beispielsweise im Verbraucherschutz genaue Vorgaben durch Qualitätsvorgaben gibt und festgelegt wird, wie etwa über Gewährleistungsfristen die Haltbarkeit von Motoren oder Handys garantiert werden muss, können Unternehmen weiterhin straffrei ökologisch und sozial auf Kosten zukünftiger Generationen wirtschaften.
Brauchen wir in der Wirtschaft mehr Vorbilder, mehr Pionierunternehmen? Was zeichnet ein solches Pionierunternehmen aus?
Pionierunternehmen können sicherlich eine wichtige Rolle übernehmen, indem sie zeigen, dass bestimmte Dinge funktionieren – wenn man sie denn als Unternehmen umsetzen will. Es gibt allerdings Grenzen. Die Pionierunternehmen bewegen sich in Märkten. Wenn konkurrierende Unternehmen ohne Rücksicht auf langfristige Nachhaltigkeit in den Lieferketten Produkte preiswerter herstellen bzw. herstellen lassen oder auch durch den Rückgriff auf andere, bedenklichere Rohstoffe Leistungen anbieten können, die das Pionierunternehmen nicht schafft, dann wird es über kurz oder lang vom Markt verschwinden. Auch hier ist meiner Ansicht nach der Gesetzgeber gefragt. Es muss ein Level Playing Field geben, das ökologische und soziale Anforderungen ständig dem anpasst, was gerade dem besten Stand entspricht.
Was sind aus Ihrer Sicht die zentralen Herausforderungen für transformative Unternehmen? Welche Themen sollten ganz oben auf der Agenda des Wandels stehen?
Das ist je nach Branche sehr unterschiedlich. Ganz oben sollte allerdings meiner Meinung nach die menschenrechtliche Verantwortung stehen, wie sie die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte sowie viele andere internationale Standards und nationale Gesetze vorschreiben. Voraussetzung dafür ist, dass Unternehmen ihre gesamte Lieferkette unter die Lupe nehmen. Sobald sie dies tun, lernen sie nicht nur die vorhandenen Probleme besser kennen, sondern können sich auch nicht mehr hinter das Argument zurückziehen, sie würden ihre Produkte nur von Lieferanten beziehen und seien nicht dafür verantwortlich, dass diese im Vorfeld der Lieferketten Missstände akzeptieren, um dem Preisdruck nachzukommen.
Das SÜDWIND Institut vermittelt zwischen Welten, zwischen Nord und Süd, reich und arm, aber auch zwischen Wirtschaft und Gesellschaft. Welche Rolle nehmen Sie konkret ein, wenn Sie sich im Rahmen von Stakeholder-Dialogen von Unternehmen engagieren? Sind Sie eher „Watch Dog“ oder Impulsgeber?
Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt Multi-Stakeholder-Dialoge von Unternehmen, die als eintägige Treffen konzipiert sind. Dann ist unsere Rolle, ökologische und, hier liegt der Schwerpunkt des Instituts, insbesondere soziale Probleme in Lieferketten anzusprechen, also eher eine Watch Dog-Rolle.
Wir können bei solchen Initiativen oft zu Vernetzungen beitragen, indem wir Unternehmen aus einer Branche auf Lösungsansätze von Unternehmen aus der eigenen oder aus anderen Branche hinweisen: Die Kommunikation zwischen Unternehmen ist für Außenstehende oft überraschend schlecht, mögliche Synergien hin zu mehr Nachhaltigkeit werden nicht genutzt und dies geht zulasten derer, die von ökologischen und sozialen Missständen betroffen sind. Es gibt aber auch Dialoge, innerhalb derer wir in regelmäßigem Kontakt zu einzelnen Unternehmen stehen. Das kann soweit gehen, dass dies tatsächlich zu einer Art Beraterfunktion wird und Impulse gesetzt werden können.
Was bedeutet es für Nichtregierungsorganisationen (NGOs), diesen Weg von der Kontroverse zur Kooperation bzw. Einbindung zu gehen?
Die Gefahr des Greenwashing durch Unternehmen ist immer da. Der Beginn einer Kommunikation mit Unternehmen ist ein sehr sensibler Schritt, da oft nicht abzusehen ist, ob eine Einbindung von NGOs in Dialoge tatsächlich vom Unternehmen so gedacht ist, dass der daraus resultierende Diskussionsprozess Einfluss auf Entscheidungen innerhalb des Unternehmens haben soll und kann. Für Außenstehende ist häufig schwer abzuschätzen, wie ernst gemeint die Prozesse sind. Manchmal hat man es mit sehraufgeschlossenen CSR-Abteilungen zu tun, erkennt dann aber irgendwann, dass diese im Unternehmen gar nichts oder nur sehr wenig zu sagen haben, wenn es um Entscheidungen bei der Ausgestaltung von Lieferketten geht. Dann kann es sein, dass diese Abteilungen gezielt sehr kritische NGOs zu Dialogen einladen, um ihrer Leitungsebene zu signalisieren, dass erhebliche Probleme da sind. Will man diese Spiele mitspielen?
In anderen Unternehmen ist dagegen offensichtlich, dass die Suche nach mehr Nachhaltigkeit in die Gestaltung von Lieferketten aufgenommen worden ist. Manche haben die Umsetzung von Nachhaltigkeitsvorgaben zu wichtigen Kennzahlen in Berichten über die Entwicklung ihres Unternehmens aufgenommen.
Allerdings kann es vorkommen, dass diese Nachhaltigkeitsziele nur für einzelne Produkte des Unternehmens gelten, während die Lieferkette von ökologisch und sozial sehr relevanten Produkten nicht verändert wird. Auch hier ist es eine Gratwanderung, ob man sich darauf einlässt. Die Entscheidung, ob SÜDWIND an Dialogen von Unternehmen teilnimmt, wird daher auf den Einzelfall bezogen aufgrund eines Kriteriensets getroffen.
Welche Instrumente setzen Sie selbst ein, um Wandel im Unternehmen zu schaffen, welche Art von Stakeholder-Dialog erwarten Sie von Unternehmen, die es wirklich ernst meinen mit dem Wandel?
Die ersten Schritte sind in der Regel Recherchen und das Abfassen von Studien, um die nötigen Fakten über soziale und ökologische Missstände zu sammeln. Dann stellt sich die Frage, ob zur Verbesserung von Lieferketten eher die Mitarbeit in Kampagnen und damit verbunden der Aufbau von Druck oder die Teilnahme an Dialogen der richtige Schritt sind. Dies geschieht häufig in Abstimmungen mit anderen NGOs, die zu gleichen oder verwandten Themen arbeiten.
Bei der Methodik der Dialogforen haben wir große Unterschiede feststellen können. Es gab beispielsweise solche in kleinen Gruppen von höchstens 20 Personen, wo konkret an Lösungsansätzen diskutiert wurde: Wie kann die Kette bestimmter Rohstoffe oder Lieferketten transparent gemacht werden? Wer muss einbezogen werden, um an einer Behebung von Missständen zu arbeiten? Welche Kriterien in Standards brauche ich, damit diese auch Wirkung erzielen?
Das sind dann die Dialoge, aus denen man rausgeht mit dem Gefühl, zumindest an einigen bestimmten Punkten vorangekommen zu sein. Ob sich dies dann allerdings in konkrete Veränderungen innerhalb von Lieferketten umsetzt, das bleibt auch hier offen.
Bei anderen Dialogen kommt eine große Zahl von Menschen zusammen und man hat eher den Eindruck, dass Unternehmen die Breite des Spektrums ihrer Bemühungen um mehr Nachhaltigkeit zeigen wollen. Das ist teilweise unbefriedigend, da dort dann die Diskussionen über Mittel und Wege zu einer nachhaltigeren Wirtschaft häufig nicht in die Tiefe gehen. Andererseits können diese Veranstaltungen aber innerhalb der Unternehmen wie auch in der Kommunikation mit Lieferanten wichtige Prozesse sein. Einen Königsweg gibt es hier nicht.
Sie selbst sind Mitglied des PRO PLANET-Beirats der REWE Group. Damit sind Sie selbst sehr eng verbunden mit unternehmerischen Entscheidungen, die Auswirkungen auf Sortimentsgestaltung und Kaufverhalten haben. Ist dies ein Engagementlevel, das Sie aus der Zivilgesellschaft in das Management katapultiert?
Nein. Bei PRO PLANET werden in einem festgelegten Prozess zuerst die Hotspots einzelner Produkte im Rahmen einer Studie erfasst, dann Ansätze für Verbesserungen gesucht, Wege zur Umsetzung dieser Ansätze festgelegt und schließlich wird über die Vergabe des Labels diskutiert. Ob das Unternehmen letztendlich diesen Weg mitgeht oder nicht, wird innerhalb des Unternehmens entschieden. Es ist immer noch möglich, weiterhin mit der vorhandenen, nicht verbesserten Lieferkette zu arbeiten. Dann allerdings wird auch das PRO PLANET-Siegel nicht vergeben. Auf die Vergabe habe ich somit durch meine Stimme direkten Einfluss.
Herr Hütz-Adams, wir sind uns nun innerhalb einer Woche gleich zweimal bei Veranstaltungen unserer Kunden begegnet. Für Ihre konstruktiven Beiträge möchte ich mich recht herzlich bedanken. Lassen Sie uns gemeinsam einmal in die Zukunft schauen! Was meinen Sie: Auf welcher Art von Stakeholder-Veranstaltungen werden wir uns in zehn Jahren treffen?
Häufig versuchen wir bei diesen Veranstaltungen Erkenntnisse über Missstände in Lieferketten zu gewinnen, die einzelne Personen innerhalb von Unternehmen schon lange kennen. Die Einkäufer und Einkäuferinnen sind häufig vor Ort, Gleiches gilt für Qualitätskontrolleure. Ebenfalls frustrierend ist manchmal, dass Probleme innerhalb eines Unternehmens einer Branche diskutiert werden, dann kurze Zeit später beim Wettbewerber die gleiche Diskussion stattfindet und man kurz darauf die Einladung zum nächsten Dialog bekommt… Dabei sind vor allem in komplexen Lieferketten häufig Ansätze ganzer Branchen notwendig, um tatsächlich Wirkung zu erzielen.
Die Kommunikation von Unternehmen untereinander sowie darauf aufbauend eine Verständigung über gemeinsame Anstrengungen hin zu mehr Nachhaltigkeit ist in vielen Bereichen erschreckend schlecht. Es ist noch nicht gelungen, langfristige Nachhaltigkeit als Bereich zu etablieren, der für alle fest vorgeschrieben ist. Um nochmal auf das Beispiel der Qualitätskontrolle zurückzukommen: Es gelingt, weltweit über langfristig angelegte Prozesse international verbindliche ISO-Normen zu etablieren. Sobald es um Nachhaltigkeit geht, wird mit Verweis auf den bestehenden Wettbewerb dagegen angeführt, dass man sich untereinander nicht austauschen könne.
Im Grunde genommen müssten wir so weit kommen, dass man keine Dialoge mehr braucht über Nachhaltigkeitsaspekte, sondern die Umsetzung dieser Aspekte fest in die Unternehmenspolitik verankert wird. Dann würden in zehn Jahren vielleicht Veranstaltungen nicht mehr so aussehen, dass wie derzeit häufig einzelne Unternehmen zu solchen Veranstaltungen einladen, sondern dass es eher branchenübergreifende Diskussionen gibt: Wo sind Probleme, die wir derzeit nicht in den Griff bekommen? Wie müssen wir handeln, um bestimmte Produktgruppen als Ganzes zu verbessern? Wie managen wir einen Austausch über Best Practices? Und wir benötigen auf diesen Veranstaltungen eine viel offenere Diskussion darüber, an welchen Stellen verbindliche Lösung durch den Gesetzgeber festgelegt werden müssen.
Vielen Dank Herr Hütz-Adams – wir sehen uns bestimmt bald wieder!
Vita: Friedel Hütz-Adams ist seit 1993 wissenschaftlicher Mitarbeiter des SÜDWIND e.V. – Institut für Ökonomie und Ökumene. Zuvor studierte er in Köln Geschichte, Philosophie und Volkswirtschaftslehre (M.A.). Seit dem Jahr 2003 hat Friedel Hütz-Adams mehrere Studien über Probleme beim Anbau und der Weiterverarbeitung von agrarischen Rohstoffen sowie über den Abbau und die Weiterverarbeitung von metallischen Rohstoffen verfasst. Begleitend zur Abfassung der Studien organisierte er Tagungen, Workshops und Hintergrundgespräche mit Stakeholdern verschiedener Branchen (z.B. Natursteine, Schmuck, Mobiltelefone, Autos, Kakao), um Nachhaltigkeitsansätze in diesen Sektoren voranzubringen. Er arbeitet in mehreren Gremien mit, die sich mit Nachhaltigkeitsaspekten befassen, darunter seit 2012 im Vorstand des Forums Nachhaltiger Kakao, einem Zusammenschluss der Stakeholder der Schokoladenbranche, und seit 2013 im Projektbeirat „Umweltfragen der Rohstoffpolitik“ des Umweltbundesamtes. Zudem ist er Mitglied des Beirats, der über die Vergabe des Labels PRO PLANET für Produkte der REWE Group mitentscheidet.