Die Herausforderung
BORSIG ist ein mittelständischer deutscher Maschinen- und Anlagenbauer, der sich auf Apparate und Wärmetauscher, Kompressoren, Prozess- und Membrantechnologie sowie Kraftwerks- und Industrieservice spezialisiert hat. Als international tätige Unternehmensgruppe mit weniger als 1.000 Beschäftigten fällt das Berliner Unternehmen nicht unter das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) – und ist doch von diesem betroffen. Wie kann das sein?
Das LkSG verpflichtet große Unternehmen, die Rechte der Menschen zu schützen, die weltweit für den deutschen Markt produzieren – entlang der Lieferkette und innerhalb des eigenen Geschäftsbereichs. Seit Januar 2024 gilt dies nicht mehr nur für Unternehmen mit mehr als 3.000 Angestellten, sondern auch für Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten. Doch kann die aktuelle Anwendung des LkSG auch kleine Unternehmen mit weniger als 1.000 Mitarbeitenden betreffen: Zum Beispiel wenn große Unternehmen ihre Zulieferer, darunter KMU, auffordern, sich an der Prüfpflicht zu beteiligen. Mehr zu den Herausforderungen dieser – gesetzlich eigentlich nicht vorgesehenen – Übertragung von Sorgfaltspflichten an KMU lesen Sie hier.
Zu den Kunden von BORSIG gehören unter anderem große Industriekonzerne, die unter das deutsche Lieferkettengesetz fallen und bei ihren Lieferanten Informationen zur Umsetzung der Sorgfaltspflicht in deren Lieferketten einholen, etwa in Form von Lieferantenfragebögen. Die vorrangigen Fragen an BORSIG lauten: Wurde eine Risikoanalyse der vorgelagerten Lieferkette des Unternehmens durchgeführt? Wenn ja, was hat sie ergeben? Und: Liegt eine Grundsatzerklärung vor?
Neben der Erfüllung dieser Stakeholder-Erwartungen sieht BORSIG eine Chance darin, sich mit sozialen und ökologischen Auswirkungen in seiner Lieferkette auseinanderzusetzen. Indem BORSIG freiwillig Anforderungen des Lieferkettengesetzes umsetzt, kann es sowohl den Schutz von Mensch und Umwelt als auch seine Wettbewerbsfähigkeit am Markt stärken. Aus diesem Grund hat BORSIG eine Risikoanalyse gemäß LkSG durchgeführt und auf dieser Basis eine Grundsatzerklärung zu Menschenrechten und Umweltschutz erarbeitet.
Die Rolle von Stakeholder Reporting
Die Risikoanalyse stellt eine grundlegende Anforderung des Lieferkettengesetzes dar: Danach hat ein LkSG-pflichtiges Unternehmen ein angemessenes und wirksames Risikomanagement einzurichten, um menschrechtliche oder umweltbezogene Risiken oder Verletzungen zu erkennen, zu verhindern, zu minimieren oder zu beheben. Stakeholder Reporting führte diese für BORSIG freiwillige Analyse in enger Zusammenarbeit mit dem Maschinen- und Anlagenbauer durch. Das BORSIG Projektteam setzte sich dabei aus Mitarbeitenden der Bereiche Environment, Health & Safety (EHS) und Compliance zusammen. Die Risikoanalyse stellt für BORSIG den Ausgangspunkt dar, um die notwendigen Sorgfaltsprozesse aufzubauen, entsprechende Strukturen zu schaffen und war überdies die Grundlage für die Grundsatzerklärung. Die Ergebnisse der Risikoanalyse bildeten die Grundlage, um anschließend gemeinsam die vom LkSG geforderte Grundsatzerklärung zu erstellen.
Die Lösung
- Vorgeschaltete Prozesse: Der Ausgangspunkt bildete ein von Stakeholder Reporting durchgeführtes Desk Research: So werteten wir zunächst die internen Richtlinien, Managementhandbücher und den bereits bestehenden Code of Conduct von BORSIG aus. Ergänzend führten wir Interviews mit den verschiedenen Fachbereichen der Gesellschaften, um die nötigen Einblicke zu erhalten.
- Zweistufiges Verfahren im Rahmen der LkSG-Risikoanalyse: In einem ersten Schritt ermittelten wir auf Länderebene das abstrakte Risiko der vom LkSG definierten menschenrechts- und umweltbezogenen Themen. Bei der Feststellung dieses Risikos – auch Bruttorisiko genannt – bleiben Milderungsmaßnahmen, die das Unternehmen ggf. bereits implementiert hat, unberücksichtigt. Basierend auf verschiedenen öffentlich verfügbaren quantitativen Indizes und ergänzenden qualitativen Indikatoren betrachteten wir hierzu mit der BORSIG Gruppe ihr eigenes Geschäftsmodell sowie ihre unmittelbaren Zulieferer (Tier 1) auf Länderebene. Anschließend bestimmten wir das Nettorisiko. Hierfür bewerteten wir das Bruttorisiko nach erwartetem Schweregrad (Ausmaß, Umfang, und Unumkehrbarkeit) und Eintrittswahrscheinlichkeit. Letzteres unterliegt dem Einfluss von vorhandenen Präventionsmaßnahmen, eingegangenen Beschwerden sowie früheren Vorfällen. Die Bestimmung von Brutto- und Nettorisiko dient dem Unternehmen dazu, die Risiken sowohl im eigenen Geschäftsbereich als auch für seine unmittelbaren Lieferanten zu priorisieren.
- Definition von Verantwortlichkeiten und Ableitung von Maßnahmen: Basierend auf den vorliegenden Ergebnissen definierte die BORSIG Gruppe Verantwortlichkeiten für die Sorgfaltsprozesse und leitete Präventions- und Abhilfemaßnahmen ab, beispielweise die Sensibilisierung ihrer Beschäftigten für potenzielle Auswirkungen auf Menschenrechte durch das Unternehmen. Zudem hat das Unternehmen in diesem Rahmen begonnen, seinen eigenen Lieferantenfragebogen zu überarbeiten.
- Erstellung der Grundsatzerklärung: Die Risikoanalyse lieferte die notwendigen Informationen, um gemeinsam mit dem BORSIG Projektteam die Grundsatzerklärung des Unternehmens zu formulieren. In dem Dokument erläutert BORSIG zudem den im Rahmen des Hinweisgeberschutzgesetzes eingerichteten Beschwerdemechanismus, mit dem gemäß LkSG auch vermutete Menschenrechtsverstöße gemeldet werden können.
Das Transformationspotenzial
KMUs wie BORSIG, die freiwillig Anforderungen des Lieferkettengesetzes umsetzen, leisten einen Beitrag zum Schutz von Mensch und Umwelt. Zugleich können sie ihre Positionierung am Markt stärken: Denn wer Transparenz schafft und Lieferketten-Risiken ermittelt, kann die eigene Sprechfähigkeit gegenüber Auftraggebern erhöhen, sich als verantwortungsvoller Partner positionieren und zu resilienteren Lieferketten beitragen. Indem das Unternehmen die entsprechenden Sorgfaltsprozesse aufgesetzt und Verantwortlichkeiten definiert hat, ist BORSIG zudem einen wichtigen Schritt in Richtung Vorbereitung auf die CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) gegangen: Ab dem Jahr 2025 beabsichtigt die Unternehmensgruppe, in einem von der neuen EU-Richtlinie geforderten Sustainability Statement über ihre nachhaltigkeitsbezogenen Geschäftsaktivitäten zu berichten. Zu diesem Zweck führen wir derzeit die erste CSRD-konforme Wesentlichkeitsanalyse durch.