Klimaschutz

Sicher durch die FLAG-Anforderungen der SBTi navigieren

Praxisorientierte Lösungen für die klimabezogenen Herausforderungen der Lebensmittel- und Getränkeindustrie
28. Oktober 2024 Von Paulina Kubietz
Klimaschutz

Der Forst-, Land- und Agrarsektor (eng. Forest, Land and Agriculture – FLAG) ist nicht nur am stärksten vom Klimawandel betroffen. Er ist auch der drittgrößte Verursacher von Treibhausgasemissionen (THG-Emissionen) weltweit – gleich hinter Energiewirtschaft und Industrie. Trotzdem wurde THG-Emissionen aus diesem Bereich bei Klimabilanzierungen bislang wenig Beachtung geschenkt. Die sektorspezifischen FLAG-Standards der Science Based Target initiative (SBTi) sollen dies ändern. Die Erhebung der notwendigen Daten ist allerdings komplex. Die Nutzung bewährter Instrumente und ein enger Austausch zwischen Klima- und Daten-Teams sowie Supply-Chain-Managern erleichtern die Erfüllung der Vorgaben. 

Viele Unternehmen haben in den letzten Jahren daran gearbeitet, die Bilanzierung ihres Corporate Carbon Footprint (CCF) zu verbessern und ihre THG-Emissionen zu reduzieren. Bisher konzentrierten sie sich dabei auf die Emissionen aus dem Energieverbrauch und auf die Scope-3-Emissionen aus Materialgewinnung, Transport und Herstellung. Diese Vorgehensweise berücksichtigt jedoch weder die zusätzlichen Emissionen, die während der Produktherstellung durch die Landbewirtschaftung entstehen, noch wird der Emissionsanteil aus der Umnutzung von Böden und Flächen durch den Menschen (Landnutzungsänderungen) gesondert ausgewiesen.  

Validierte SBTs müssen bis Ende 2024 um FLAG-Ziele ergänzt werden 

Die SBTi hat bereits im Dezember 2023 die Ausweitung der THG-Bilanzierung auf Emissionen aus dem FLAG-Sektor vorgestellt. So schafft sie einen Rahmen für die Rechenschaftspflicht in diesem emissionsintensiven Sektor. Unternehmen, die sich bereits wissenschaftsbasierte Klimaziele (Science Based Targets – SBTs) gesetzt haben oder setzen wollen, müssen diese ggf. um FLAG-SBTs ergänzen und ihre landbasierten Aktivitäten über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg berücksichtigen. Das bedeutet, dass in die bisherige Bilanzierung von eingekauften Gütern nun auch die Emissionen mit einfließen müssen, die z. B. durch Rodung von Wald- und Landwirtschaftsflächen oder dem Trockenlegen von Mooren während Materialbeschaffung und -produktion entstehen.  

Welche THG-Emissionen deckt ein FLAG-Ziel ab? 

  • Alle Emissionen, die entstehen, bevor die Güter den Hof verlassen 

Wer ist betroffen? 

Unternehmen,  

  • die unter den FLAG-Sektor fallen: Herstellung von Forst- und Papierprodukten, Lebensmittelproduktion, Lebensmittel- und Getränkeverarbeitung, Lebensmittel- und Grundnahrungsmitteleinzelhandel sowie Tabakwaren. 
  • deren THG-Emissionen zu 20 % aus Landbewirtschaftung und Landnutzungsänderung resultieren 

Wann müssen Unternehmen, die zum oben genannten Anwenderkreis zählen, die FLAG-Ziele nachreichen? 

  • Wenn ihr SBT nach dem 1. Januar 2020 validiert wurde: bis spätestens Ende 2024  
  • Seit April 2023 müssen alle Unternehmen die FLAG-Anforderungen berücksichtigen, wenn sie sich wissenschaftsbasierte Ziele setzen möchten 

Erweiterter Bilanzierungsumfang: Lieferkettentransparenz gefragt 

Aktuell liefert die SBTi den De-Facto-Standard, um wissenschaftsbasierte Ziele festzulegen, die mit dem Pariser Klimaschutzabkommen in Einklang stehen. Für Unternehmen, die bereits 2025 ihr erstes Sustainability Statement gemäß Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) veröffentlichen und schon über ein validiertes SBT verfügen, ist die Auseinandersetzung mit den FLAG-Emissionen besonders dringlich. Gemäß den European Sustainability Reporting Standards (ESRS) E1 – 4 müssen sie Klimaschutz- und Anpassungsziele angeben und in diesem Rahmen auch ihre jeweiligen sektoralen Dekarbonisierungspfade nachverfolgen. Gleiches gilt für diejenigen, die im Rahmen der künftigen Berichterstattung einen wissenschaftlich fundierten Rahmen für ihre Klimaschutzziele suchen.  

Die Lebensmittel- und Getränkeindustrie sowie die Einzelhandelsbranche stehen derweil vor noch umfangreicheren Aufgaben. Charakteristisch für diese Branche ist die Vielzahl der heterogenen Lieferantenbeziehungen auf den unterschiedlichen Ebenen der Wertschöpfungskette. Nun müssen sie die FLAG-Emissionen ermitteln, die entstehen, bevor die Güter den Hof verlassen. Dafür sind sie auf die notwendigen Daten und die Mitarbeit ihrer vielen Lieferanten angewiesen. Gleichzeitig sehen sie sich jedoch aufgrund ihrer Position in der Lieferkette mit dem geringeren Zugang zu Primärdaten konfrontiert. Es gilt, sowohl erst einmal detaillierte Prozesse zu erarbeiten, um ihre THG-Emissionen nachzuverfolgen und darüber zu berichten als auch neue Strategien zu entwickeln, um die Emissionen zu managen und zu reduzieren.  

Landbezogene Emissionen: Herausforderung für Datenerhebung und Berichterstattung 

Wer landbezogene Emissionen erheben und künftig darüber berichten will, muss Emissionen aus Landnutzungsänderungen (z. B. Entwaldung, Wiederaufforstung und Bodendegradation) und aus Praktiken der Landbewirtschaftung (z. B. Emissionen aus der Viehhaltung, Bodenbewirtschaftung und Düngemitteleinsatz) berücksichtigen. Für Unternehmen birgt dies Schwierigkeiten: 

  • Komplexität der Datenerhebung: Die Lebensmittelproduktion beispielsweise umfasst oft eine komplexe Lieferkette mit zahlreichen Beteiligten. Es kann schwierig sein, präzise Daten auf den verschiedenen Stufen zu erheben, z. B. für Kleinbauernbetriebe und abgelegene Gebiete. 
  • Standardisierung von Methoden: Landbezogene Emissionen in verschiedenen Regionen und bei unterschiedlichen landwirtschaftlichen Praktiken zu erfassen, sollte standardisiert erfolgen. An solchen Methoden mangelt es bislang. Der Aufwand die Konsistenz der genutzten Methoden sowie die Vergleichbarkeit der Daten sicherzustellen, ist nicht zu unterschätzen. 
  • Technologische Beschränkungen: Viele Unternehmen haben keinen Zugang zu Technologien und Instrumenten, die für eine genaue Überwachung, Berichterstattung und Überprüfung von Emissionen erforderlich sind – zum Beispiel Fernerkundung¹ und Präzisionslandwirtschaft². Dies kann zu erheblichen Datenlücken und einer möglichen Unter- oder Überberichterstattung von Emissionen führen. 

So können Unternehmen Emissionssenken in die Bilanzierung miteinbeziehen 

Bei Klimazielentwicklungen müssen emittierte und gebundene Emissionen (eng. Removals – Entnahmen) getrennt ausgewiesen werden. Während für herkömmliche SBTs der Abbau von Emissionen, etwa durch Kompensation, nicht zur Zielerreichung herangezogenen werden darf, liegt der Fall bei FLAG-Zielen anders: Unternehmen dürfen den Abbau miteinbeziehen, da es sich dabei um direkte Maßnahmen zur Verringerung der Emissionen im eigenen Betrieb oder in der eigenen Wertschöpfungskette handelt.  Als Abbau zählt in diesem Fall die Emissionsmenge, die durch naturbasierte Lösungen aus der Atmosphäre entfernt wird – z. B. durch die Umstellung von konventioneller auf regenerative Landwirtschaft, die zur Speicherung von CO2 im Boden beiträgt. Das Unternehmen kann den Abbau jedoch nur dann in seine FLAG-Ziele einbeziehen, wenn die entsprechenden Anforderungen gemäß den künftigen Leitlinien der GHG Protocol Land Sector and Removals Guidance erfüllt sind.  

Auch wenn die Guidance erst bis Ende des Jahres finalisiert und Anfang 2025 veröffentlicht werden soll, kann ihr Entwurf schon jetzt Orientierung bieten: Demnach sollen Unternehmen der Lebensmittel- und Getränkebranche nur CO2-Entnahmen in ihre FLAG-Ziele einbeziehen, die laufend gespeichert und überwacht werden, wie es z. B. bei Wiederaufforstung und Bodenkohlenstoffspeicherung der Fall ist. Denn nur Entnahmen mit laufender Speicherung tragen dazu bei, die globalen Emissionen zu reduzieren, die den Klimawandel vorantreiben. Finden Maßnahmen zu Wiederaufforstung und Wiederherstellung von Wäldern/Gehölzen auf bewirtschafteten Flächen statt, können sie für das FLAG-Ziel saldiert werden, z. B. Uferbepflanzung/Korridore und Biodiversitätsbrücken. Aufforstung und Wiederaufforstung, die außerhalb von Betriebsflächen stattfinden, sind von den Zielen ausgenommen. Diese Bemühungen liegen außerhalb der Lieferketten des Unternehmens und spiegeln daher nicht die Emissionen wider, die den Tätigkeiten oder der Wertschöpfungskette des Unternehmens zuzuschreiben sind. 

Datenerfassung pragmatisch angehen  

Große Lebensmittelkonzerne verfügen in der Regel über die nötigen Ressourcen, neue Technologien wie Fernerkundung und Präzisionslandwirtschaft einzusetzen sowie detaillierte Lebenszyklusanalysen durchzuführen. Kleinere Unternehmen können eine landbezogene Emissionsbilanzierung angehen, indem sie sich an bestehenden standardisierten Bilanzierungsmethoden orientieren, wie denen des Greenhouse Gas (GHG) Protocol. Dies kann die Komplexität verringern und die Vergleichbarkeit in der Branche erhöhen, in der FLAG-Ziele gefordert sind. Es kann Unternehmen unterstützen, 

  • Landtypen und Landbewirtschaftungsaktivitäten zu definieren, 
  • die identifizierten Emissionsquellen den jeweiligen Faktoren zuzuordnen, z. B. in Folge von Bodenbearbeitung und Fruchtfolgepraktiken und 
  • alle Quellen und Senken zu summieren, um die FLAG-Nettoemissionen zu ermitteln 

Bei vielen der bereits erfassten Tätigkeiten in der Wertschöpfungskette sind die FLAG-bezogenen Emissionen im allgemeinen Emissionsfaktor enthalten. Für die Unterscheidung der Emissionsarten kann der gewichtsbasierte Ansatz des GHG Protocol herangezogen werden (s. AbbAbb.). Im Anschluss durchlaufen sie dann die gleichen Validierungsprozesse wie Nicht-FLAG-Emissionen.  

Wir bei Stakeholder Reporting unterstützen unsere Kunden seit Jahren dabei, eine solide Emissions-Ausgangslage zu schaffen, z. B., indem wir Gegenkontrollen von Datenerfassung und Berechnungen durchführen und Branchen-Benchmarks zur Plausibilitätsprüfung des resultierenden Fußabdrucks heranziehen. Dies bildet auch die Grundlage dafür, ein FLAG-Ziel bei der SBTi einzureichen und validieren zu lassen. Darüber hinaus helfen wir Ihnen, die erforderlichen Unterlagen auszufüllen und fungieren als erfahrener Sparringpartner bei den Anforderungen der Zielvalidierung.  

Lieferkettenengagement als Schlüssel  

Einige der FLAG-Zielvorgaben können Unternehmen nur durch das Engagement ihrer Zulieferer erreichen, z. B. entwaldungsfreie Lieferketten. Auch die Umsetzung wirksamer Maßnahmen, um die landbezogenen Emissionen zu mindern, kann nur durch eine enge Zusammenarbeit gelingen. Durch verschiedene Formen des Capacity Building können Unternehmen nicht nur ihre Lieferantenbeziehungen vertiefen und verbesserten Zugang zu Daten und Informationen erhalten. Sie befähigen ihre Lieferanten außerdem dazu, zielgerichtete Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen, was wiederum auf die FLAG-Scope-3-Emissionen der Unternehmen einzahlt.  

Bei Stakeholder Reporting unterstützen wir unsere Kunden dabei, indem wir unsere Expertise aus den Teams Climate & Data Management und Sustainable Supply Chain bündeln. Durch die Kombination von Datenanalyse, Lieferantendialog und Schulungserfahrung sind wir nicht nur in der Lage, unsere Kunden bei der Definition ihrer relevanten FLAG-Emissionsquellen zu unterstützen und erste Screenings für eine Hotspot-Analyse durchzuführen. Wir helfen ihnen ebenfalls, starke Beziehungen zu ihren relevanten Lieferanten aufzubauen, um auf eine kontinuierliche Datenverbesserung und Rechnungslegung hinzuarbeiten – ohne dass dafür größere Investitionen in fortschrittliche Technologien erforderlich sind.  

Herausforderungen in Chancen verwandeln 

Die erstmalige Berücksichtigung flächenbezogener Emissionen und die Erfüllung der FLAG-Ziele kann für Unternehmen mit begrenzten Ressourcen herausfordernd sein. Doch durch innovative Lösungen und pragmatische Ansätze können sie die Herausforderungen in Chancen für nachhaltiges Wachstum wandeln.  

Unsere Expert*innen unterstützen Sie gerne dabei, sich diesem Thema zu nähern. 

 

 

 

¹ Unter Fernerkundung versteht man die Verwendung von Satellitenbildern, die ein Feld im Laufe der Zeit fotografieren, um Daten zu sammeln, z. B. über den Zustand der Pflanzen und des Bodens, und Schwankungen dokumentieren.

² Präzisionslandwirtschaft (Precision Agriculture, PA) bezeichnet den Einsatz hochtechnologischer Sensoren und Analysewerkzeuge, um Ernteerträge zu verbessern und Managemententscheidungen zu unterstützen.