Die Herausforderung
Im April 2024 hat sich die Georg Fischer AG dazu verpflichtet, wissenschaftsbasierte Net-Zero-Ziele gemäß den Standards der Science Based Targets initiative (SBTi) festzulegen. Bis 2050 strebt das Unternehmen an, seine direkten und indirekten Treibhausgasemissionen über Scopes 1-3 um mehr als 90 % zu reduzieren und verbleibende Emissionen durch dauerhafte Kohlenstoffentfernung und -speicherung zu neutralisieren. Für Unternehmen sind ambitionierte Klimaziele ein entscheidender Beitrag zum Klimaschutz. Doch die Planung realistisch umsetzbarer Reduktionsmaßnahmen über einen Zeitraum von mehr als 25 Jahren ist herausfordernd.
Als produzierendes Unternehmen in energieintensiven Branchen stellten sich auch für die Georg Fischer AG die Fragen: Wie setzt sie sich ehrgeizige, wirkungsvolle und vor allem umsetzbare Net-Zero-Ziele? Wie kann sie dabei langfristige Unsicherheiten wie regulatorische Anforderungen, technische Veränderungen und Entwicklungen innerhalb der Wertschöpfungsketten angemessen berücksichtigen?
Um diese Fragen zu beantworten, entschied sich Georg Fischer gemeinsam mit Stakeholder Reporting für eine umfassende vorgelagerte Machbarkeitsstudie mit Ziel- und Maßnahmenformulierung, Lückenanalyse und Stakeholdereinbindung. Die Ergebnisse lieferten die notwendige Datengrundlage für konkrete Reduktionspfade – und damit die Grundlage für das Net-Zero-Commitment des Unternehmens.
Die Rolle von Stakeholder Reporting
Die Machbarkeitsstudie haben wir in den folgenden Arbeitsschritten durchgeführt:
- Quantitative Analyse der bestehenden kurzfristigen SBTi-Klimaziele: Bereits 2022 hatte sich Georg Fischer in Zusammenarbeit mit Stakeholder Reporting SBTi-validierte, kurzfristige Klimaziele gesetzt. Für den geplanten Net-Zero-Status bis 2050 mussten diese in Anlehnung an die 2021 veröffentlichten Net-Zero-Kriterien der SBTi geschärft werden. Daher analysierte Stakeholder Reporting die kurzfristigen Klimaziele von Georg Fischer: Inwieweit waren diese bereits konform mit Net-Zero-Szenarien? Auf Grundlage der Ergebnisse leiteten wir ab, wie ehrgeizig die neuen Ziele formuliert sein konnten bzw. mussten.
- Maßnahmenentwicklung und Stakeholdereinbindung: Für eine Standortbestimmung in Bezug auf die Net-Zero-Ziele führten wir Interviews und Workshops mit internen Stakeholder*innen zu kurz- und langfristigen Reduktionspotenzialen durch. Die identifizierten Maßnahmen wurden anschließend quantifiziert und in drei Reduktionsszenarien mit unterschiedlichen Ambitionsniveaus – „Business as Usual“, „Best Estimate“ und „Net Zero“ (als Zielbild) – überführt. Die unterschiedlichen Szenarien ergaben sich aus den geplanten internen Reduktionsmaßnahmen und aus externen, von Georg Fischer nicht beeinflussbaren Faktoren. Dazu zählte beispielsweise der (langfristige) Anteil erneuerbarer Energien in den jeweiligen Märkten.
Die Lösung
In den folgenden Punkten konnte die Machbarkeitstudie den Herausforderungen in der Formulierung von Net-Zero-Zielen begegnen:
- Szenarienentwicklung und -abgleich: datengestützter, quantifizierter Vergleich von Soll- und Ist-Zustand gemäß SBTi-Kriterien; Basis für kontinuierliche Fortschrittsmessung einschließlich konkreter Meilensteine.
- Eingrenzen spezifischer langfristiger Unsicherheiten: Untersuchung und Einordnung interner Fragestellungen sowie langfristiger externer Unsicherheiten, z. B. die starke Marktabhängigkeit von eingekauften Materialien, die wirtschaftliche Tragfähigkeit und Skalierbarkeit von emissionsärmeren Materialien sowie globale und geopolitische Faktoren.
- Identifikation konkreter, möglichst wirksamer Maßnahmen: beispielsweise die Umstellung auf erneuerbare Energien und Prozesselektrifizierung (für Scope 1 und 2) und Einsatz von Sekundär- und kohlenstoffarmen Materialien entlang der Lieferkette (für Scope 3).
- Realistische Kostenabschätzung für Reduktionsprojekte und -maßnahmen: Grundlage, um frühzeitig ausreichend finanzielle Ressourcen sicherzustellen.
- Frühe Einbindung relevanter Stakeholder*innen: transparenter Dialog mit verantwortlichen Unternehmensbereichen und Interessensgruppen, um Fachkompetenzen, Ideen und Kritik von Beginn an in Lösungsansätzen abzubilden – und damit internes Commitment zu gewinnen.
Das Transformationspotenzial
Ins Handeln kommen: Eine Machbarkeitsstudie legt deutlich den Abstand zwischen Status Quo und dem angestrebten Zielszenario offen. Dabei werden – mitunter schwierige – Herausforderungen entlang des Wegs sichtbar. Gleichzeitig machen die Ergebnisse der Studie diese greif- und handhabbar. Vor allem in der langen Frist ermöglicht eine Machbarkeitsstudie, unvermeidbare finanzielle und technische Unsicherheiten einzugrenzen: Sie zeigt konkrete Transformationspfade bzw. -szenarien auf; diffuse Möglichkeiten werden zu konkreten Fragestellungen in der unternehmerischen Planung und Ressourcenverteilung – und erlauben Unternehmen ins Handeln zu kommen.
Text: Ariane Jüditz und Theresa Wenning