Sustainable Finance

EU-Taxonomie: Erkenntnisse aus dem ersten Berichtsjahr

13. April 2022 Von Dr. Christina Bonhoff
Sustainable Finance

Seit dem 1. Januar 2022 gilt: Kapitalmarktorientierte Großunternehmen, die gemäß CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz (RUG) zur Abgabe eines nichtfinanziellen Berichts verpflichtet sind, müssen laut Taxonomie-Verordnung für das abgelaufene Geschäftsjahr „grüne“ Umsätze, Investitionsausgaben und Betriebsausgaben offenlegen.

Wir haben in den vergangenen Monaten verschiedene Unternehmen bei der Umsetzung der Taxonomie-Anforderungen (Details hierzu siehe unten) beraten. Im Folgenden haben wir für Sie unsere Erkenntnisse, Erfahrungen und Lösungsansätze zusammengefasst.

Kann die Taxonomie ihre angestrebten Ziele erreichen?

Die EU möchte mit der Taxonomie Investitionen in nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten fördern, einen transparenten und vergleichbaren Nachhaltigkeitsstandard schaffen und auf diese Weise Greenwashing bekämpfen. Im ersten Berichtsjahr zeigt sich jedoch, dass es an Transparenz und Vergleichbarkeit derzeit noch mangelt.

Vor allem der große Auslegungsspielraum bei den Taxonomie-Anforderungen erschwert die Vergleichbarkeit. In den ersten veröffentlichten Berichten legen die Unternehmen beispielsweise die Beschreibungen der Wirtschaftsaktivitäten verschieden aus oder schlüsseln Taxonomie-Kennzahlen in unterschiedlichem Detailgrad auf. Einige Pioniere gehen sogar bereits über das gesetzlich geforderte Maß hinaus und weisen für das Berichtsjahr 2021 neben der Taxonomiefähigkeit auch die erst ab dem nächsten Berichtsjahr geforderte Taxonomiekonformität der Unternehmensaktivitäten aus. Das Ergebnis ist eine sehr heterogene Berichterstattung.

Auch durch den engen Zuschnitt der Taxonomie wird die angestrebte Transparenz noch nicht erreicht. Zum einen sind bestimmte Industrien, wie etwa der Textil- und Gesundheitssektor, der Maschinenbau oder der Handel, bisher noch gar nicht durch die Taxonomie abgedeckt. Und für die Branchen, die bereits von der Taxonomie erfasst werden, zeigt sich oftmals, dass die definierten Taxonomie-Kriterien nicht mit den eigenen, auf das Geschäftsmodell abgestimmten Nachhaltigkeits-KPIs zusammenpassen. Unternehmen müssen daher ihr Nachhaltigkeitsengagement zunächst in die Taxonomie-Kriterien „übersetzen“. Dies erschwert es ihnen, ihren Nachhaltigkeitsbeitrag transparent zu machen.

Neuer De-facto-Standard – auch ohne Berichtspflicht?

Während die Taxonomie also im ersten Anlauf ihr Versprechen nach mehr Transparenz noch nicht einlösen kann, zeichnet sich andererseits ab, dass sie sich bei der Vergabe von Eigen- und Fremdkapital oder auch in Ausschreibungsverfahren zunehmend zum neuen Standard entwickelt. Dies führt dazu, dass die Taxonomie auch für Akteur*innen, die nicht berichtspflichtig sind, an Bedeutung gewinnt: Dies betrifft unter anderem internationale Unternehmen, die im europäischen Markt aktiv sind, oder Unternehmen, die erst mit Inkrafttreten der Corporate Sustainability Reporting Directive (frühestens ab dem Berichtsjahr 2023) berichtspflichtig werden. Sie sollten schon jetzt die individuellen Informationsbedürfnisse ihrer Stakeholder*innen prüfen und abwägen, ob sich eine vorzeitige Implementierung der EU-Taxonomie auf freiwilliger Basis anbietet.

Ein weiteres Argument für eine frühzeitige Beschäftigung mit der Taxonomie: Da es zum Beispiel bei den sozialen Mindeststandards der Taxonomie Überschneidungen mit den Anforderungen der geplanten EU-Richtlinie zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht (Corporate Sustainability Due Diligence Directive) gibt, kann eine abgestimmte Anpassung interner Prozesse dabei helfen, sich auf kommende Regulierungen vorzubereiten.

Praktische Hürden und Lösungsansätze

Bei der praktischen Umsetzung der Taxonomie-Anforderungen zeigten sich in vielen Unternehmen deutliche Hürden. Eine davon ist die mangelnde Kompatibilität mit bestehenden Datenerhebungssystemen: Die Taxonomie ist nach Wirtschaftsaktivitäten organisiert, die jedoch bislang keine etablierte Größe in den Management- und Informationssystemen von Unternehmen sind. In der Folge waren vielfach händische Datensammlungen notwendig. Hier empfiehlt es sich mit Blick auf das zweite Berichtsjahr Systemanpassungen bzw. -erweiterungen zu prüfen, um den Datenerhebungsprozess effizienter zu gestalten.

Eine weitere Herausforderung ergibt sich daraus, dass die Kriterien für die Taxonomiekonformität oftmals anderen EU-Regulierungen entlehnt sind. Dies betrifft in erster Linie Unternehmen mit Standorten außerhalb der EU, denn für sie ist es schwierig, für internationale Standorte vergleichbare Nachweise zu bringen. Viele Standardgeber sind aus diesem Grund derzeit damit beschäftigt, die Taxonomiekonformität etablierter Standards zu prüfen und für Kongruenz zu sorgen. Dies betrifft beispielsweise etablierte internationale Nachhaltigkeitsstandards für Gebäude wie LEED und BREEAM.

Bereichsübergreifende Zusammenarbeit als Chance

Nach dem ersten Berichtsjahr wird deutlich: Die Umsetzung der Taxonomie-Anforderungen ist auch für Unternehmen mit etablierten Nachhaltigkeitsstrukturen eine komplexe Aufgabe. Als Erfolgsfaktor hat sich eine frühzeitige fachbereichsübergreifende Zusammenarbeit zwischen den Bereichen Nachhaltigkeit, Finance bzw. Accounting und Controlling sowie Investor Relations erwiesen. Die Allokation von Umsätzen und Kosten zu taxonomiefähigen und -konformen Wirtschaftsaktivitäten ist nur gemeinsam möglich, denn die Verknüpfung von Nachhaltigkeits- und Finanzdaten erfordert Kompetenzen aus verschiedenen Bereichen.

Eine Zusammenarbeit mit Chancen: Die enge Zusammenarbeit zwischen Nachhaltigkeits- und Finance-Abteilungen im Taxonomie-Projekt fördert die übergreifende Integration von Nachhaltigkeit in Strategie und Prozesse und bildet so einen fruchtbaren Boden für die nachhaltige Weiterentwicklung des Unternehmens, beispielsweise in Form eines integrierten ESG-Risiko- und Chancenmanagements.

Taxonomie als Lackmustest

Bei allen anfänglichen Schwächen: Die Taxonomie etabliert sich zunehmend als neue Benchmark für Nachhaltigkeit. Die Umsetzung der Taxonomie-Anforderungen hilft Unternehmen dabei, mögliche Lücken in der Nachhaltigkeitsperformance zu entdecken und zu adressieren – angefangen bei den sozialen Mindeststandards und ökologischen „Do no significant harm“-Kriterien. Auch langjährige Berichterstatter werden durch die Auseinandersetzung mit den Taxonomie-Kriterien gefordert, ihre Nachhaltigkeitsperformance noch einmal aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und weiterzuentwickeln. Die Taxonomie fordert von Unternehmen die Aufstellung von CapEx-Plänen und bewegt sie so dazu, gezielte Investitionen in den Auf- und Ausbau taxonomiekonformer Unternehmensaktivitäten unter strategischen Gesichtspunkten zu prüfen. Damit hält die Taxonomie schließlich auch Einzug in Unternehmensrichtlinien wie Einkaufsbestimmungen oder Umweltrichtlinien.

Klar ist: Die Beschäftigung mit der EU-Taxonomie ist anspruchsvoll, und die Entwicklung bleibt dynamisch. Stakeholder Reporting unterstützt Unternehmen – ob berichtspflichtig oder nicht – bei der Implementierung: von der Identifizierung relevanter Wirtschaftsaktivitäten über die Taxonomie-Konformitätsprüfung bis zur Taxonomie-Berichtslegung.

Die EU-Taxonomie im Überblick

Unternehmen müssen offenlegen, welche Umsätze sie mit „grünen“ Unternehmensaktivitäten erzielen bzw. welche Investitions- und Betriebsausgaben in „grüne“ Aktivitäten fließen. Umgekehrt müssen Finanzmarktteilnehmer transparent machen, inwiefern die von ihnen angebotenen Finanzprodukte Anlagen in „grüne“ Wirtschaftsaktivitäten beinhalten, die die Taxonomie-Kriterien erfüllen (Offenlegungsverordnung).

Als „grün“, das heißt taxonomiekonform, gelten Wirtschaftstätigkeiten dann, wenn sie durch das Klassifikationssystem der EU-Taxonomie abgedeckt werden („taxonomiefähige Wirtschaftsaktivitäten“) und einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung mindestens eines dieser sechs Umweltziele leisten:

  1. Klimaschutz
  2. Anpassung an den Klimawandel
  3. Nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen
  4. Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft
  5. Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung
  6. Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und Ökosysteme

Dabei dürfen sie keines der übrigen Umweltziele wesentlich beeinträchtigen und müssen zugleich soziale Mindeststandards erfüllen. Bisher sind technische Prüfkriterien für die Umweltziele „Klimaschutz“ und „Anpassung an den Klimawandel“ verabschiedet worden. Sie beschränken sich auf die Branchen mit den höchsten Scope-1- und Scope-2-Treibhausgasemissionen.

Ausblick

Die Kriterien für die übrigen Umweltziele werden zurzeit noch erarbeitet; sie sollen zwölf Monate nach Geltungsbeginn der zugehörigen delegierten Rechtsakte, also voraussichtlich ab dem Berichtsjahr 2023 greifen. Kürzlich veröffentlichte die „Platform on Sustainable Finance“ ihre Empfehlung an die EU-Kommission für die Ausgestaltung der neuen Kriterien. Unternehmen sollen die Möglichkeit erhalten, weitere aus ihrer Sicht nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten zu melden, damit eine Aufnahme in die Taxonomie geprüft wird. Außerdem wachsen die Pläne für eine mögliche Erweiterung des Systems um eine „Soziale Taxonomie“ und eine „Transitionstaxonomie“, die Übergangsaktivitäten auf dem Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaft stärker würdigt.

Hier bietet es sich für Unternehmen an, über Verbände an den zugehörigen Konsultationsprozessen teilzunehmen, um sich für eine Abdeckung wichtiger Aktivitäten mit positiver Nachhaltigkeitswirkung durch die Taxonomie und eine praxisorientierte Ausgestaltung der Prüfkriterien einzusetzen.